- Energieversorgung: Koexistenz verschiedener Energietechniken
- Energieversorgung: Koexistenz verschiedener EnergietechnikenWegen des weit verbreiteten »Energiepessimismus« der vergangenen Jahre geriet bisweilen ein wenig aus dem Blickfeld, wie groß die Palette der Möglichkeiten in Wirklichkeit ist. Dies mag an der geläufigen Stimmung liegen, dass mit den bisher gepflegten Strukturen die Zukunft sich nicht meistern lässt und dass auf der anderen Seite auch keine klare Option für eine zukunftsweisende Energiewirtschaft erkennbar ist. Im Gegenteil: Die letzten Jahre im Energiesektor waren geprägt von heftigen und teilweise völlig widersprüchlichen Tendenzen, was die Einordnung der unterschiedlichen Energietechniken betrifft. Dabei ist eines jedenfalls klar: Auch weiterhin wird die Menschheit mit einem Energiemix leben.Folgt man dem bereits erläuterten Zyklenmodell, nach dem alle 50 Jahre ein neuer Energieträger aufkommt, so ist die Verlaufskurve für Kernkraft wirklich bemerkenswert. Denn sie erlaubt eine vielfältige politische Deutung. Gleich zu Beginn steigt sie recht steil nach oben, flacht dann aber merklich ab. Je nach Standpunkt des Interpreten liest sich das dann so: »Trotz massiver staatlicher Förderung hat sie sich nicht als Nachfolger der zuvor etablierten Energieträger durchsetzen können.« Oder so: »Binnen kürzester Zeit ist es der Kernkraft gelungen, einen beträchtlichen Anteil an der Stromerzeugung für sich zu gewinnen.« Die wechselvolle Geschichte der Kernspaltung und der Atomkraftwerke präsentiert sich als dichtes Gewebe aus politischem Disput, technischen Träumen und ökonomischen Realitäten. Denn nicht alles in diesem Bereich scheiterte an widrigen Zeitläufen und dem massiven Widerstand der Kernkraftgegner. Die einst gepriesene Brütertechnologie und der damit verbundene Brennstoffkreislauf erwiesen sich zum Beispiel als ungemein aufwendig und teuer. Zudem sind bis heute nicht alle technischen Fragen befriedigend gelöst, was sich nicht zuletzt an der Frage der Endlagerung radioaktiver Abfälle zeigt. Gerade in diesem Zusammenhang wurden in jüngster Zeit zum Teil exotische Lösungen vorgeschlagen, so zum Beispiel eine Kombination aus Kernreaktor und Teilchenbeschleuniger. Solche Anlagen sollen langlebigen radioaktiven Abfall umwandeln und dabei gleichzeitig auch noch Energie gewinnen. Freilich sind solche Projekte technisch extrem aufwendig zu verwirklichen und schon deshalb vom praktischen Betrieb noch weit entfernt. Gleiches gilt für die Kernfusion, lange Zeit der große Hoffnungsträger für eine sorgenfreie Energiezukunft. Tatsächlich böten entsprechende Reaktoren ebenfalls eine unerschöpfliche Energiequelle, obwohl man sie nicht zu den erneuerbaren Energiequellen zählt. Trotz massiver finanzieller Förderung in mehreren Staaten und auch international gebündelter Kräfte ist diese Vision von der Realität heute so weit entfernt wie je. Doch entgegen den ungelösten Problemen und der zur Zeit schwindenden Bedeutung der Kernkraft scheint ein Abgesang auf diese Energiequelle zum jetzigen Zeitpunkt verfrüht.Energie aus dem Inneren der ErdeKernkräfte stecken letztlich auch hinter einer Energie, die wir klassisch zu den erneuerbaren zählen: die Erdwärme. Sie beruht zum allergrößten Teil auf dem radioaktiven Zerfall von Uran und Thorium im Erdinneren. Dabei übersteigt die anfallende Wärmemenge diejenige aller fossilen Lagerstätten bei weitem. Wo die Erdkruste in vulkanisch aktiven Zonen ohnehin sehr dünn ist, lässt sich diese Energieform oft sehr einfach nutzen. Auf Island zum Beispiel steigen heißer Dampf und heißes Wasser unter Druck durch Erdspalten nach oben und liefern Nutzwärme oder, auf eine Dampfturbine geleitet, Elektrizität. An weniger begünstigten Standorten kommt man oft mit einfachen Bohrungen weiter, wenn in nicht allzu großer Tiefe heißes Wasser vorhanden ist. Das Nutzen dieser »hydrothermalen Geothermie« ist bereits technischer Standard. Das »Hot-Dry-Rock-Verfahren« dagegen ist noch eine unklare Option für die Zukunft. Dabei wird durch Bohrungen in heißem Tiefengestein kaltes Wasser in den Untergrund gepresst und nach dem Aufheizen an die Oberfläche gepumpt.Energetisch gesehen leben wir in einer aufregenden Zeit. Auf der einen Seite hält sich noch immer ein tiefer Pessimismus, für den es keine rationale Basis gibt. Auf der andern Seite tummelt sich eine bunte Schar von Schwärmern und Lobbyisten, welche beispielsweise Photovoltaik als die eigentliche Lösung für die Zukunft darstellen. Auch das ist freilich nicht vernünftig, da sie allein den Bedarf nicht decken kann, sondern aus heutiger Sicht vielleicht allenfalls zu 30 Prozent weltweit. Allein auf der Basis des heute gesicherten Wissensstands gibt es daneben noch eine Reihe von Optionen, die bisher ein wenig exotisch wirken. Doch während einige von diesen tatsächlich noch vor erheblichen technischen Problemen stehen, deren Lösung ungewiss ist, könnten andere bereits mit heute verfügbaren Mitteln angegangen werden.Dies ist beispielsweise bei Aufwindkraftwerken der Fall. Zwar gibt es unter Energieexperten noch immer zahlreiche Stimmen, die diese Technik für reine Spinnerei halten. Doch es mehren sich in letzter Zeit auch jene Stimmen, die meinen, man solle das nötige Kapital aufbringen und wenigstens eine Pilotanlage bauen. Die Erwartungen seien einfach zu verlockend, um nicht ernsthaft in der Praxis getestet zu werden; schließlich ließen sich damit in den sonnenreichen Gürteln der Erde große Mengen an Sonnenenergie ernten. Hinter den Aufwindkraftwerken steckt als eigentlicher Energielieferant die Sonnenstrahlung. Sie heizt den Boden unter einem transparenten Dach auf, der dann wiederum die Luft zwischen Bodenoberfläche und Dach erwärmt. Die so erzeugte Warmluft steigt nach oben und strömt durch einen Turm von gewaltigen Dimensionen, der in der Mitte der transparenten Abdeckung steht. Nach den Vorstellungen der Planer sollte er eine Höhe von etwa einem Kilometer haben, um eine möglichst große Kaminwirkung zu entfalten. Der Aufwind treibt eine im Turm installierte Turbine an, die ihrerseits den Strom liefert. Dass dieses Prinzip tatsächlich funktioniert, hat eine sehr viel kleinere Testanlage in Spanien gezeigt. Als Standorte für Aufwindkraftwerke sind vor allem Wüstengegenden in der Diskussion, beispielsweise im indischen Bundesstaat Rajastan.Gletscher und Wogen als LieferantenAuch das Wasser hält noch etliche ungenutzte Möglichkeiten »in petto«. Der Vollständigkeit halber seien zunächst die Meeresströmungen erwähnt, in denen sehr viel Energie steckt. So hat man etwa für den Golfstrom im Gebiet der Karibik eine Strömungsleistung errechnet, die ungefähr zwanzig großen Atomkraftwerken entspricht. Theoretisch könnte man natürlich mit solchen Meeresströmungen Turbinen antreiben. Allerdings sind neben der technischen Machbarkeit auch die Folgen für die Umwelt im Detail völlig unüberschaubar. Meeresströmungen sind letztlich die Motoren des Klimas: Von entsprechenden Eingriffen, die sehr weit reichende Folgen haben könnten, sollte man also besser die Finger lassen.Außerhalb der Fachwelt am geläufigsten ist vielleicht die Wellenenergie: Auch die Wogen auf dem offenen Meer enthalten Energie, die sich im Prinzip in Strom umwandeln lässt. Mehrere Versuchsanlagen unterschiedlichen Typs haben die prinzipielle Machbarkeit von Wellenkraftwerken gezeigt. Doch für die Praxis eines Routinebetriebs gibt es noch erhebliche Probleme, da die großflächigen, auf dem Wasser schwimmenden Strukturen auch bei heftigem Seegang und bei Stürmen genügende Festigkeit aufweisen müssen. Außerdem stellt auch das salzig-aggressive Meerwasser beträchtliche Ansprüche an den Korrosionsschutz.Gerade der hohe Salzgehalt ist es aber, der bei zwei anderen Optionen die Voraussetzung zur Energiegewinnung bildet. So könnte man zum Beispiel in einem »Osmosekraftwerk« an Flussmündungen den unterschiedlichen Salzgehalt zwischen dem Süßwasser des Flusses und dem Meerwasser nutzen. Beispielsweise liegt das auf diese Weise in der Rheinmündung enthaltene Energiepotenzial etwa in der Größenordnung eines Kernkraftwerks der oberen Leistungsklasse. Allerdings ist bisher völlig unklar, wie man technisch die nötige Diffusion des mit vielen Schwebstoffen belasteten Wassers durch semipermeable Membranen realisieren soll.Schon erprobt ist dagegen ein anderes System, bei dem der Salzgehalt ebenfalls eine wichtige Rolle spielt: der Solarteich. Süßwasser hat eine geringere Dichte als Salzwasser, ist also leichter. Fließt es an der Oberfläche einem Salzsee zu, so steigt der Salzgehalt auf den ersten Metern mit wachsender Tiefe stark an. Das Licht der Sonne aber wird bevorzugt in diesen tieferen Schichten absorbiert. Doch wegen seiner höheren Dichte kann das erwärmte Salzwasser nicht nach oben steigen. Zwischen den beiden Wasserschichten bildet sich also ein Temperaturgefälle, das sich mit Wärmepumpen zur Stromerzeugung nutzen lässt. In den heißen Gegenden der Erde kann man also mit solchen Salzseen Sonnenwärme in Elektrizität umwandeln.Ganz andere Möglichkeiten bieten die kalten Regionen der Erde, wobei auch hier Wasser im Spiel ist. Grönland beispielsweise ist von gewaltigen Gletschermassen überdeckt, aus denen ständig Schmelzwasser abläuft. Dieses Gletscherwasser könnte man sammeln und dann an der Küste mit gewöhnlichen Wasserkraftwerken zur Stromgewinnung nutzen. Das theoretische Potenzial ist gewaltig, doch Grönland nicht gerade ein großer Energieverbraucher. Deshalb schlagen manche Energiefachleute vor, mit der so gewonnenen Elektrizität Wasserstoff zu erzeugen und diesen in flüssiger Form an die Verbraucher in anderen Teilen der Welt zu liefern. Wasserstoffwirtschaft ist derzeit eines der klingenden Schlagwörter der Energiedebatte: Von den einen als Nachfolger der Ölzeit schlechthin gefeiert, gilt sie andern schon jetzt als Totgeburt. Auf den ersten Blick hat Wasserstoff als Energieträger viele Vorteile: Er ist praktisch unerschöpflich, und wenn man mit seiner Hilfe Strom oder Wärme gewinnt, entsteht als Emission fast nur Wasserdampf.Mit Wasserstoff in gewohnten BahnenSchon heute sind im Prinzip alle Techniken und Komponenten verfügbar, die man zum Aufbau einer Infrastruktur für die Wasserstoffwirtschaft bräuchte. Doch auf der anderen Seite gibt es einige unübersehbare Nachteile von großem Gewicht. Diese tragen mit Sicherheit dazu bei, dass diese Vision vom Wasserstoffzeitalter nicht so energisch vorangetrieben wird, wie ihre Protagonisten das gerne hätten. Denn zunächst muss man den Wasserstoff natürlich haben, und dazu braucht man erst einmal Energie. Die ganze Wasserstoffwirtschaft ist also immer nur so umweltfreundlich wie der Prozess, mit dem man den Wasserstoff erzeugt. Folglich müsste man den Wasserstoff mithilfe erneuerbarer Energie erzeugen, für die er dann gleichsam als Speichermedium dienen würde. Das ist technisch kein Problem und mit Strom aus Photovoltaikanlagen auch schon vielfach erprobt. Allerdings sind die Kosten dafür noch sehr hoch; wirtschaftlich herstellen lässt sich Wasserstoff bislang nur mit Strom aus Wasserkraft. Auch die Energiebilanz fällt bisher ungünstig aus: Speichert man den Wasserstoff gasförmig und erzeugt mit dem Wasserstoffgas Strom in Brennstoffzellen, so muss man insgesamt zwei Kilowattstunden Energie aufwenden, um am Ende eine Kilowattstunde elektrische Energie zu erhalten. Anders ausgedrückt: Energetisch ist es eigentlich vernünftiger, die zur Erzeugung nötige Energie direkt für den erwünschten Nutzen einzusetzen.Nun sind aber viele Industrieländer nicht gerade verwöhnt, was das Angebot an regenerativen Energiequellen anbelangt. Sollen diese künftig einmal den Bedarf in erheblichem Umfang decken, so müssen sich die Industrienationen beizeiten nach Lieferanten umtun. In dem Zusammenhang begann die Wasserstoffwirtschaft als bequeme Lösung interessant zu werden: Die westlichen Nationen bräuchten ihre aus der Öl- und Gaszeit lieb gewordenen Gewohnheiten nicht allzu sehr umzukrempeln, denn Wasserstoff taugt selbst als Treibstoff für Auto und Flugzeug. Sogar die alten Lieferbeziehungen könnte man zum Teil beibehalten, da viele der erdölexportierenden Länder auch von der Sonne verwöhnt sind und große Photovoltaikanlagen zur Wasserstoffgewinnung aufbauen könnten.Doch egal, ob man den Wasserstoff nun mittels Wasserkraft in Kanada und auf Grönland erzeugt oder mit Sonnenenergie auf der Arabischen Halbinsel und in der Sahara: Er muss von dort in die industriellen Ballungszentren transportiert werden, und das verschlechtert die Energiebilanz weiter. Als Gas ließe er sich durch Pipelines leiten, in flüssiger Form mit Tankschiffen verfrachten, wobei aber die Verflüssigung viel Energie verschluckt.Energetische Vielfalt statt MonokulturWasserstoff steht keinesfalls konkurrenzlos da. Es ist heute technisch durchaus möglich, Strom auch über relativ große Entfernungen ohne allzu hohe Verluste zu übertragen. Warum also die Solarenergie nicht gleich mit solarthermischen Kraftwerken im Sonnengürtel der Erde verstromen und dann direkt in dieser Form durch große Kabel leiten, etwa von Nordafrika nach Europa? Diese Frage stellen manche Energieexperten immer öfter in den Raum, zumal diese Technologie der Erzeugung schon jetzt an der Schwelle der Wirtschaftlichkeit steht.Wie wird sie also aussehen, unsere Energieversorgung der Zukunft? Allen felsenfest vorgetragenen Behauptungen zum Trotz, die doch meist nur von sehr spezifischen Interessen getragen sind: Wir wissen es nicht. Mit ziemlicher Gewissheit lässt sich heute lediglich sagen: Es wird auch künftig ein Energiemix sein, und fossile Energieträger spielen darin noch eine geraume Weile die zentrale Rolle, wenn auch mit abnehmendem Gewicht.Im Analogieschluss zu den Lebenszyklen früherer Energieträger sind viele Fachleute aber davon überzeugt, die Menschheit werde die Nutzung fossiler Brennstoffe vermutlich aufgegeben haben, lange bevor die entsprechenden Lagerstätten endgültig erschöpft und ausgebeutet sind. Andere Experten wiederum mahnen, trotz solcher Prognosen — oder gerade um sie mit Realität zu erfüllen — schon jetzt massiv in erneuerbare Energiequellen zu investieren, bevor wir vielleicht unter dem Druck unliebsamer Ereignisse dann überhastet dazu gezwungen sind. Waren solche Ereignisse früher vor allem Szenarien der Knappheit, so ist es heute die durch die Klimaerwärmung drohende lokale und globale Zerstörung der Umwelt.Können wir aber ein Energiesystem aufbauen, das völlig auf erneuerbaren Energiequellen beruht, so wie das auf einer früheren Entwicklungsstufe schon einmal der Fall war? Vermutlich ist es möglich, aber eben auf einem völlig anderen Niveau. Die Menschheit hat den früheren Pfad zwar nicht verlassen, um diese neue Stufe zu erreichen. Aber ohne die Zwischenschritte diverser industrieller Revolutionen wäre es ihr vielleicht auch nicht gelungen. Heute haben wir die Technik oder zumindest schon recht konkrete Vorstellungen davon, diese Aufgabe anzupacken.Dennoch bleibt festzuhalten: Mit Technik allein ist es nicht getan. Wir werden wahrscheinlich auch einige liebe Gewohnheiten über Bord werfen müssen und den einen oder andern Lebensstil ändern. Die Systeme regenerativer Energie unterscheiden sich in einigen wesentlichen Punkten von den traditionellen, beispielsweise der jederzeitigen Verfügbarkeit. Auf dem Weg in eine sichere Energiezukunft muss man die verschiedenen Technologien also auf eine intelligente Weise koppeln und — auch international — noch viel enger kooperieren, als das bisher der Fall war.Dipl.-Phys. Bernd EusemannGrundlegende Informationen finden Sie unter:Energieversorgung: Alte Systeme im neuen GewandEnergiewirtschaft: Konzepte und EnergiequellenEnergiewirtschaft: Konzepte und EnergiequellenEnergieversorgung: Viele Wege führen zur NutzenergieEingartner, Michael u. a.: Wasserstoff. Düsseldorf 1996.Heinloth, Klaus: Energie und Umwelt. Klimaverträgliche Nutzung von Energie. Stuttgart 21996.Heinloth, Klaus: Die Energiefrage. Bedarf und Potentiale, Nutzung, Risiken und Kosten. Braunschweig u. a. 1997.Potentiale regenerativer Energieträger in der Bundesrepublik Deutschland, bearbeitet von R. Hofer u. a. Düsseldorf 1991.
Universal-Lexikon. 2012.